14.11.2022, 17:01 Uhr

Der Generalinspekteur der Bundeswehr plant offenbar eine große Neuausrichtung der Bundeswehr: Auslandseinsätze werden künftig weniger fokussiert und die Landes- und Alliiertenverteidigung an Bedeutung gewinnen. Grund für die Überprüfung ist der Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Bundeswehr steht vor einer strategischen Neuausrichtung. In einem vertraulichen Grundsatzdokument, das dem Spiegel vorliegt, hat Vier-Sterne-General Eberhard Zorn Ende September angeordnet, dass sich die Bundeswehr besser auf einen drohenden Konflikt mit Russland vorbereiten muss. Eine zentrale Veränderung sollte darin bestehen, Auslandseinsätze zu reduzieren und die Landes- und Bündnisverteidigung zu stärken. „Anschläge in Deutschland können möglicherweise ohne Vorwarnung und mit großem, möglicherweise existenziellem Schaden erfolgen“, heißt es in dem 68-seitigen Papier. „Es steht außer Frage, dass die Fähigkeit, Staats- und Bündnisgebiete zu verteidigen, überlebenswichtig sein und noch wichtiger werden wird als bisher“, erklärt Zorn. Das Papier trägt den Titel „Einsatzrichtlinien für die Streitkräfte“. Zunächst stellt er fest, dass ausländische Missionen weniger auf die Landesverteidigung und die Verteidigung der Alliierten ausgerichtet werden sollten. Die Bundeswehr ist laut Zorn seit drei Jahrzehnten in vielen Auslandseinsätzen wie Afghanistan, auf dem Balkan oder in Mali präsent. Dies würde jedoch der aktuellen Situation, also dem russischen Einmarsch in die Ukraine, nicht mehr gerecht. Sichtbare und verlässliche Abschreckung sei jetzt viel wichtiger, so Zorn. Die Streitkräfte sollten nach seinen Worten für einen “aufgezwungenen Krieg” gerüstet sein.

Situation anders als 2014

Zorn deutet damit einen Konflikt an der Nato-Ostflanke an, den er wieder für durchaus möglich hält. Der Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung sei nicht ganz neu, schreibt der Spiegel. Nach der Krim-Annexion im Jahr 2014 hätte es verstärkt werden sollen. Seitdem sind in den östlichen NATO-Staaten kleine Vorkommandos stationiert. Allerdings gab es nie eine ernsthafte Bedrohung aus Russland, wie es jetzt nach dem Einmarsch in die Ukraine wahrscheinlich erscheint. Diese Situation führte auch bei der Bundeswehr zu einer Überprüfung. Deutschland müsse laut dem Bericht seiner „führenden Rolle in Europa“ gerecht werden. Dies würde bei den Bündnispartnern zu Erwartungen führen, die Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt nicht überzeugend bestätigen könnte. Immer wieder wurden Schwierigkeiten bei der Ausrüstung von Bundeswehrsoldaten, auch bei Einsätzen an der Nato-Ostflanke, öffentlich gemacht. Die Pläne der Nato, innerhalb weniger Tage eine schnelle Eingreiftruppe mobilisieren und nach Osteuropa verlegen zu können, erscheinen in der aktuellen Lage nicht realisierbar. Bisher gab es keine Pläne für eine Division – 10.000 Mann, einschließlich Kampfausrüstung und Logistik -, die für eine so schnelle Eingreiftruppe bereit wäre. Dies hat sich nun jedoch angesichts der Situation in der Ukraine geändert. Bis 2024 soll Deutschland in der Lage sein, eine voll ausgestattete Division bereitzustellen.