Die innenpolitische Lage könnte aber durchaus ganz Europa betreffen: Paris und Berlin geben in der EU den Ton an, und gerade Frankreich ist neuerdings besonders wichtig geworden, da die Franzosen die wichtigste Militärmacht der Union und damit ein wichtiger Akteur sind der Krieg der Ukraine.
Der Kurs wurde wahrscheinlich durch die Situation im Parlament gebremst
Macron gilt nicht nur im eigenen Land als großer Reformer und wollte vor allem während der Ratspräsidentschaft, die im Juli endet, in der EU Akzente setzen. Doch ihr proeuropäischer Kurs könnte nun deutlich gebremst werden. Eisl erwartet nun einen “sorgfältigeren Umgang” mit bestimmten Themen, wenn der Präsident auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen ist. Macrons Reformdrang hänge demnach davon ab, “wie stark er in sich selbst nachlässt”.
Frankreich droht politisches Chaos
Am Tag nach den Parlamentswahlen in Frankreich herrscht Katerstimmung. Präsident Emanuel Macron verlor seine absolute Mehrheit, während die Linke und die extreme Rechte stark zulegten. Das Land, in dem der Präsident sonst fast uneingeschränkte Macht hat, scheint unregierbar. Die schwierige Suche der Mehrheit beginnt. Für einige Projekte brauche Macron laut Eisl die „nationale Sicherheit“, die durch die neuen Umstände in Frage gestellt werden könnte. Das Parlament könnte auch die Umsetzung von EU-Richtlinien in Frankreich blockieren. Die nächste Periode wird also für die gesamte EU wichtig sein – denn Macrons Wahl des Partners könnte Auswirkungen über die nationalen Grenzen hinweg haben.
Welten zwischen dem Macron-Lager und anderen Allianzen
Eines ist klar: Egal, ob Jean-Luc Melansons linkes Bündnis NUPES oder die Nationalversammlung von Marine Le Pen – in vielen Fragen liegen Welten zwischen Macron und den großen Gewinnern der diesjährigen Parlamentswahlen. Und das setzt sich natürlich auf EU-Ebene fort, zudem gibt es mit dem Melanson-Bündnis keine einheitliche Linie, an der sich die EU auch innerhalb des Blocks orientieren könnte. APA/AFP/Bertrand Guay Melenchon hat bei den Parlamentswahlen große Siege eingefahren Denn während der Anführer der Bewegung die EU als Gegner sieht und sogar von „Ungehorsam“ vor allem gegenüber den strengen Schuldenregeln der Union sprach, sehen das die einzelnen Parteien ganz anders – was auch für Macron ein Faktor sein könnte. Denn die der Melanson-Allianz beigetretenen Grünen und Sozialisten galten bisher tatsächlich als proeuropäisch. Eisl sagt, Macron könne mit den Sitzen dieser beiden Parteien “möglicherweise eine knappe Mehrheit erringen” – das würde aber auch bedeuten, dass Grüne und Sozialisten mit Melansons Bündnis brechen müssten. In jedem Fall wird dies nur zu einer “sehr fragilen” Mehrheit im Parlament führen, weit entfernt von der ehemaligen Macron-Lagermacht.
Republikaner als mögliche Könige
Die “politisch einfachere Option” für Macron wäre laut Eisl, mit konservativen Republikanern zusammenzuarbeiten – die nicht zuletzt proeuropäisch sind. Denkbar ist entweder eine echte Zusammenarbeit in Form einer klassischen Koalition hierzulande oder eine informelle Zusammenarbeit – das Macron-Lager hätte eine Minderheitsregierung, die Republikaner würden einem Misstrauensantrag nicht zustimmen und damit die Regierung unterstützen.
ZIB-Korrespondentin Leonie Heitz aus Paris
Macron braucht Regierungspartner für die kommenden Jahre und für seine politischen Pläne. Wie schwierig wird es für ihn sein, sie zu finden? sagt Leonie Heitz. Ein weiteres von Eisl genanntes Szenario wäre die „politische Sackgasse“. In diesem Fall hätte Macron keine Mehrheit, aber es gäbe keine “konstruktive” Mehrheit der anderen Parteien: Eine Situation, in der die anderen Parteien Macron nicht nur stürzen, sondern sich auch auf Gesetzesvorschläge einigen könnten. Letztlich könne nur eine Neuwahl etwas ändern, sagt der Experte. Auch eine Situation wie in Israel, wo mehrfach in relativ kurzer Folge Neuwahlen abgehalten wurden, ist nicht auszuschließen. APA/AFP/Denis Charlet Marine Le Pens Partei verzeichnete ebenfalls einen enormen Stimmenzuwachs Aber “politisch logischer” sei eine Einigung mit den Republikanern. Das Potenzial, Könige zu werden, haben sie zweifellos – aber sie halten sich zumindest vorerst noch zurück und haben angekündigt, in die Opposition zu gehen. Nachdem Macron „einige Republikaner vereint“ habe, gebe es laut Eisle möglicherweise eine „Angst“, Teil von Macrons Bündnis zu werden. Macron will nun einzeln mit den Spitzen der wichtigsten Parteien über neue Mehrheiten ab Dienstag sprechen.
Deutschland wartet aber optimistisch
Neben dem Streben nach einer Mehrheit im Parlament bleibt abzuwarten, wie die anderen Mitgliedstaaten auf die Entwicklungen in Frankreich reagieren werden. Die vielleicht wichtigste Aussage kam am Montag aus Deutschland: Aus Berlin hieß es, Macrons Verhältnis zu Bundeskanzler Olaf Soltz sei “eng, vertrauensvoll und gut”, sowohl persönlich als auch inhaltlich. “Das wird auch so bleiben.” Angesprochen auf Macrons möglicherweise eingeschränkten politischen Handlungsspielraum, sagte der deutsche Regierungssprecher, es werde zunächst klar, wie genau die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Präsident funktionieren werde. Vorerst dürfte der Rest Europas sehr genau auf Macrons Weg schauen – und wie die innenpolitische Lage das Tempo des Präsidenten verändern wird.