Katars WM-Botschafter Khalid Salman nennt Homosexualität „psychischen Schaden“. Der Weltverband Fifa schweigt dazu. Und es tut dem Fußball immer mehr weh: Das letzte Quäntchen Anstand geht verloren. Diese Spalte repräsentiert die Meinung von Pit Gottschalk. Erfahren Sie, wie unsere Redakteure mit Meinungen in Texten umgehen. Aus allen Ecken ist zu hören, dass das Desinteresse an der WM in Katar groß sei. Die Begründung variiert. Mal liegt es am Timing („November statt Sommer!“), mal am Gastgeberland („Was hat Katar mit Fußball zu tun?“), mal an den örtlichen Gegebenheiten („Menschenrechte! Arbeitsbedingungen!“), mal an den Zwölf -jähriger Preisträger (“Korruption!”). Erstens ist jedes Argument gültig und zweitens richtig: Die WM 2022 hätte niemals an Katar vergeben werden dürfen. Und als ein offizieller WM-Botschafter im ZDF Homosexuellen das Lebensrecht abspricht, ist der nächste Skandal perfekt: Katar bestätigt Vorbehalte und Forderungen.
Untergrabung der Werte des Fußballs
Es reicht nicht, dass Fifa-Präsident Gianni Infantino nun alle Fußballnationen zur Einheit aufruft und nur noch um Stellungnahmen zu sportlichen Themen bittet. Wenn Katars WM-Botschafter und ehemaliger WM-Spieler Khalid Salman im ZDF-Interview mit Jochen Breyer von einer „psychischen Schädigung“ spricht, entlarvt er nicht nur das Fassadenspiel des WM-Gastgebers. Er geht die Werte des Fußballs und damit des Weltverbandes mit beiden Beinen. Ein Fifa-Präsident, der sich das gefallen lässt und nichts tut, isst auch gerne Nackenbisse zum Frühstück. Sein Vorgänger Joseph Blatter hält die WM-Vergabe in Katar nun für einen “Fehler”. Warum wandert Infantino weiter? Zur Vorbereitung auf die WM 2022 lese ich das neue Buch von Christoph Biermann, das sich mit den Auswüchsen des „modernen Fußballs“ beschäftigt. Der Titel des Buches: „Um jeden Preis: Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute“. Wenn ich ein Wort finden müsste, das die Entwicklung, die es beschreibt, am besten beschreiben würde, wäre es „Marktexpansion“, weil es sowohl um die Akkumulation von Geld als auch um das Streben nach Macht geht. Kurzum: Der falsche Weg im Weltverband Fifa, gesteuert von Gier und Elitismus, könnte mit Katar nur zum Untergang des Mannes führen. Was ich mich nur frage: Wo waren und sind die Kräfte, die rechtzeitig gegensteuern, bevor es zu spät ist? Alles unbeantwortete Fragen.
Die FIFA spielt vor der WM
Die oft verwendete Ausrede, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Katar verbessern, weil eine Weltmeisterschaft immer die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht und die Dinge in einem Gastgeberland zum Besseren verändert, wurde seit den Olympischen Spielen 1936 in Nazi-Deutschland oft widerlegt. Jüngste Beispiele: Weder die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi noch die WM 2018 haben Russland geräumt. China manifestiert seine menschenverachtende Doktrin trotz der Tatsache, dass Peking Gastgeber der Sommerspiele 2008 und der Winterspiele 2022 war. Wer immer noch glaubt, dass Katar die Menschenrechtsbewegung anführt, muss Gianni Infantino sein. Der FIFA-Präsident wird den Machthabern in Doha mit dem gleichen Lächeln die Hand reichen wie IOC-Präsident Thomas Bach es in Sotschi und Peking getan hat. Tatsächlich steht wohl nur jedes vierte teilnehmende Land der Ausrichtung einer Weltmeisterschaft in Katar kritisch gegenüber. Die FIFA spielt auf Zeit: Irgendwann rollt der Ball und mit jedem engen Spiel steigt das Fußballfieber, mit jeder schwierigen Situation auf dem Tisch steigt die Angst, mit jedem Ergebnis die Diskussionsstimmung – über Fußball. Zurück zum ersten Satz: Ich bin sehr gespannt, ob die vermeintliche Gleichgültigkeit in zehn Tagen bis zur WM anhält. Ich denke nein. Irgendwann hat es mit Fußball zu tun. Die traurige Wahrheit ist: Und damit kommt Infantino wieder davon. Mehr Fußball-WM-News Pit Gottschalk ist Reporter, Autor und Chefredakteur von SPORT1. Hier erhalten Sie Ihren kostenlosen Fever Pit’ch Fußball-Newsletter. Fever Pit’ch ist der tägliche Fußball-Newsletter von Pit Gottschalk. Abonnenten erhalten jeden Morgen um 6:10 Uhr den Kommentar zum Fußball-Tagesthema und Links zu den besten Fußball-Geschichten in den deutschen Medien. Aktualisiert am 08.11.2022 um 09:27 Uhr Zwei Wochen vor Beginn der Fußball-WM in Katar sorgte der offizielle Botschafter der WM für einen Eklat. In einem Interview bezeichnete Khalid Salman, ein ehemaliger Nationalspieler, schwul zu sein als “geistigen Schaden”.