20.06.2022, 20:21 Uhr
Um Gasspeicher einzusparen, spielt Finanzminister Habeck mit verstärkter Kohleverbrennung zur Stromerzeugung. Unternehmen kündigen daher an, offen für längere Laufzeiten von Kohlekraftwerken zu sein. Der Kohleausstieg im Jahr 2030 soll unverändert bleiben. Nach den von Bundesfinanzminister Robert Hubeck angekündigten Sofortmaßnahmen zur Senkung des Gasverbrauchs in Deutschland prüfen die Versorger die Verlängerung der Laufzeiten ihrer Kohlekraftwerke. Der deutsche Energieversorger RWE könnte auf Anfrage drei Braunkohlekraftwerke mit jeweils 300 Megawatt (MW) Leistung weiter betreiben, teilte das Unternehmen mit. Die Kraftwerke Neurath C, Niederaußem E und F sind Teil einer Liste möglicher Wartestationen, die das Ministerium im Mai für den Fall einer gravierenden Unterbrechung der russischen Gasversorgung erstellt hat. Auch der Kohleproduzent Steag war bereit, vorübergehend mehr Kapazität anzubieten. Hubeck kündigte am Wochenende Maßnahmen zur Erhöhung der Gasspeicherung für den nächsten Winter an und nannte die verstärkte Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung als Option, um das für industrielle Prozesse benötigte Gas einzusparen. Dadurch könnten Stromerzeuger für eine Übergangszeit von Kohlekraftwerken umsteigen – aber nicht nötig, so das Finanzministerium. Geplant ist vor allem, dass einige Kohlekraftwerke in begrenztem Umfang wiederverwendet werden könnten. Angesichts der seit Tagen rückläufigen Gaslieferungen aus Russland über die Pipeline Nord Stream 1 in die Ostsee wächst die Sorge vor Versorgungsengpässen, auch wenn diese laut Habeck noch gewährleistet sind.
Zusätzliche Kapazität bis zu zehn Gigawatt
Hintergrund sind die Gaslieferungen, die Russland vor wenigen Tagen gestoppt hat. Der Energiekonzern Uniper bezieht nach eigenen Angaben derzeit weniger als die Hälfte der vereinbarten Erdgasmengen. Auch die italienische Eni und die österreichische OMV sind von geringeren Gaslieferungen aus Russland betroffen. „Es ist eine angespannte Situation“, sagte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach. Der Versorger sei bereit, seine Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, erklärte er auf einer Energiekonferenz in Essen. Anlagen in Heyden, Staudinger und Scholven konnten getestet werden. Beim Kraftwerk Wilhelmshaven hingegen ist der „point of no return“ erreicht. Die Gasspeicher in Deutschland waren am Montag zu etwa 57,6 % gefüllt, Tendenz steigend. Allerdings sieht das Gasspeichergesetz für Oktober eine Füllquote von 80 Prozent und für November sogar 90 Prozent vor. Die Wiederaufnahme von Kohlekraftwerken könnte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bis zu 10 Gigawatt zusätzliche Kapazität hinzufügen, wenn die Gasversorgung ein kritisches Niveau erreicht. Ein entsprechendes Gesetz soll am 8. Juli in den Bundesrat eingebracht werden, während die Aktivierung der Gasersatzreserve mit einem Ministerbeschluss in Arbeit ist. Trotz aller Probleme bei der Gasversorgung bleibt es nach Angaben des Finanzministeriums, des SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klinbail und des Grünen-Co-Vorsitzenden Omid Nuripur bis 2030 beim Kohleausstiegsmodell. Gasauktionsmodell, das Industriegasverbraucher dazu motivieren soll Sprit sparen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) begrüßte das Modell. „Marktwirtschaftliche Instrumente sind für unsere Unternehmen besser als staatliche Zwangsmaßnahmen“, erklärte der VCI. Gaseinsparungen sind nur an Chemiestandorten möglich, wo es noch Alternativen zur Erzeugung von Prozesswärme gibt. Das können alte Ölkessel oder kohlebefeuerte Blockheizkraftwerke sein.
BASF will unabhängig von fossilen Brennstoffen werden
BASF 45,88
Mit einem Anteil von 15 Prozent ist die chemische Industrie der größte Verbraucher von Erdgas in Deutschland. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF wollte sich zu Habecks Sofortmaßnahmen zunächst nicht äußern, erklärte aber, dass alle europäischen Standorte weiterhin bedarfsgerecht mit Gas versorgt würden. Daher gibt es keine Ausfallzeiten oder Strangulation. BASF arbeitet daran, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insbesondere Gas, mittelfristig deutlich zu reduzieren. Dazu gehört auch eine schnelle Umstellung auf Erneuerbare in der Stromversorgung.
Der Leverkusener Kunststoffkonzern Covestro sieht kurzfristig keine nennenswerten Möglichkeiten zur Energieeinsparung. Covestro prüft punktuell die Möglichkeit, Energie aus anderen Quellen als Erdgas zu erzeugen – etwa in Dampfkesseln im Werk Brunsbüttel, die auch mit Öl betrieben werden können. Dies könnte jedoch frühestens Ende des Jahres umgesetzt werden.
Volkswagen pocht derzeit darauf, im Stammwerk Wolfsburg von Kohlestrom auf Gas umzustellen. „Im Falle einer dauerhaft zuverlässigen Versorgung mit Erdgas wird die Produktion von Wärme und Strom mit dem Betrieb moderner Gasturbinen wie geplant sichergestellt“, sagte ein Unternehmenssprecher. „Sollte die notwendige Gasversorgung nicht uneingeschränkt bereitgestellt werden können, hat der Standort das Potenzial, Kohle weiterhin als Energieträger zu nutzen und in einer Übergangszeit vorhandene Anlagen zur Deckung des Strom- und Wärmebedarfs für das Werk Wolfsburg zu nutzen und Wärmeversorgung vieler Privathaushalte in der Stadt zu gewährleisten“.