Ein Arzt untersucht CT-Bilder eines Patienten mit Lungenkrebs. Foto: Andy Wong (Keystone) Bundesdaten zufolge wird mehr als ein Viertel der Raucher schließlich an Lungenkrebs sterben – der zweithäufigsten Todesursache im Zusammenhang mit dem Rauchen, gleich hinter Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viele dieser Todesfälle könnten in Zukunft vermieden werden. Das ist das Ergebnis des nationalen Expertengremiums für Krebsfrüherkennung, das am Dienstag seine Empfehlung herausgegeben hat, Risikopatienten eine Lungenkrebsvorsorge mit Niedrigdosis-Computertomographie (CT) anzubieten. In der Schweiz ist die systematische Früherkennung der häufigsten Krebstodesursache viel näher. „Der Nutzen ist vergleichbar mit dem der üblichen Dickdarmkrebsfrüherkennung und der Mammographie“, sagt Marcel Zwahlen, Vorsitzender der Expertengruppe. „Deshalb gibt es keinen Grund, das routinemäßige Lungenkrebs-Screening nicht zu unterstützen.“ Wenn starke Raucher oder Ex-Raucher zehn Jahre lang alle ein bis zwei Jahre gescreent werden, können sie ihr Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, um bis zu 20 Prozent senken. Nach den vorliegenden Studien mit jährlichen Screenings könnte bei 10.000 starken Rauchern die Zahl der Todesfälle über einen Zeitraum von 10 Jahren von 200 auf etwa 160 reduziert werden.
Keine falsche Sicherheit für Raucher
Ärzte haben lange auf die Früherkennung von Lungentumoren gehofft. Krebserkrankungen sind heute meist noch weit fortgeschritten und daher nach ihrer Entdeckung schwer zu behandeln. In der Schweiz hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 2016 einen Antrag auf Lungenkrebs-Früherkennung abgelehnt. Der Stand der Studie sei zu dünn, hieß es damals. Seitdem wurden 2020 neue, vielversprechende Daten aus einer grossen Studie aus den Niederlanden publiziert, die nun zu einer positiven Empfehlung für BAG und kantonale Aufmerksamkeit geführt haben. Ohne Früherkennung können Ärzte Lungenkrebs meist erst diagnostizieren, wenn Symptome wie chronischer Husten, blutiger Auswurf oder Atemnot auftreten. Die Erkrankung ist bereits fortgeschritten und die Erfolgsaussichten der Behandlung bleiben über Jahre schlecht. Nicht einmal jeder Fünfte überlebt die nächsten fünf Jahre nach der Diagnose. Laut der Krebsliga werden etwa 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle durch das Rauchen verursacht. In der Schweiz sterben jährlich rund 3300 Menschen daran. Lungenkrebs ist die häufigste Krebstodesursache bei Männern und die zweithäufigste Krebsursache bei Frauen – Tendenz steigend, weil Frauen häufiger rauchen als früher. (fess) Genaue Kriterien für ein Früherkennungsprogramm hat das Expertengremium nicht festgelegt. Diese müssen später ausgearbeitet werden, sagt Zwahlen. Experten schlagen jedoch vor, das Screening erst gesunden Menschen über 55 Jahren und mit etwa 20 sogenannten „Packjahren“ anzubieten. Beispielsweise rauchten sie 20 Jahre lang täglich 20 Zigaretten (eine Packung) oder 10 Jahre lang 40 Zigaretten täglich. In der Schweiz kämen aktuell rund 100’000 bis 320’000 Personen dafür in Frage. “Gefährdete Personen sollten dabei unterstützt werden, ohne Bevormundung mit dem Rauchen aufzuhören, unabhängig davon, ob sie sich einer Früherkennungsuntersuchung unterziehen oder nicht.” Marcel Zwahlen, Präsident der Nationalen Expertenkommission für Krebsfrüherkennung Die Befürchtung, dass die Möglichkeit einer frühen Diagnose oder ein unauffälliger Befund Raucher dazu verleiten könnten, immer häufiger zu rauchen, scheint nicht richtig zu sein. Dann würde ein ähnliches Programm nicht zu weniger, sondern zu mehr Krebs, Herzinfarkten und Schlaganfällen führen. Der Berner Epidemiologe Marcel Zwahlen weist dies zurück: «In den teils sehr umfangreichen Studien gab es keinen Hinweis auf einen solch paradoxen Effekt.» Er sieht sogar die Möglichkeit des gegenteiligen Effekts. “Im Rahmen eines Screenings gehen starke Raucher das Risiko ein, Lungenkrebs zu bekommen, den sie vielleicht lieber unterdrücken.” Dies könnte sie auch motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören. „Risikopersonen sollten ohne Bevormundung unterstützt werden, unabhängig davon, ob sie sich einer Früherkennungsuntersuchung unterziehen oder nicht“, sagt Zwahlen. Der genaue Nutzen eines Screenings hängt jedoch davon ab, wie ein Programm konkret aufgebaut ist. Aus Sicht der Expertengruppe ist es unbedingt erforderlich, das sogenannte Wildscreening zu verhindern. Anbieter betreiben Früherkennung außerhalb systematischer Programme und sind bei den Teilnahmekriterien und dem Ablauf nach einem Scheinbefund nicht so genau. Ein CT droht dann mehr zu schaden als zu nützen. Wenn zum Beispiel jüngere Menschen und Raucher seltener zum Screening gehen, gibt es mehr Fehlalarme, mehr Nachuntersuchungen, mehr Komplikationen und Eingriffe, die ohne Screening nie stattgefunden hätten.
Ohne Screening-Programme droht eine Ungleichbehandlung
Ohne von den Krankenkassen bezahlte Früherkennungsprogramme droht zudem eine Ungleichbehandlung, weil den weniger Wohlhabenden das Geld für eine Früherkennung fehlt – eine Situation, die das Gremium und die Krebsliga vermeiden möchten. Allerdings gibt es in der Schweiz seit Jahren Anbieter, die solche CT-Untersuchungen mit milderen Kriterien und relativ günstig durchführen. Geschäftsmodell, weil Zusatzuntersuchungen aufgrund häufiger und unklarer Befunde dann der Grundversicherung belastet werden. Die jetzt veröffentlichte positive Einschätzung ist ein wichtiger Schritt auf dem kurvenreichen Weg zur systematischen Früherkennung von Lungenkrebs in der Schweiz. Zwar ist das BAG gemeinsam mit der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) Träger der Expertengruppe Krebsfrüherkennung und hat die Evaluation selbst in Auftrag gegeben. Das BAG tut jedoch nichts, bis Interessenten Fördermittel für Screening-Programme beantragen. Das zuständige Gremium des BAG müsste dann eine weitere Evaluation vornehmen, die bei positivem Entscheid vom Bundesrat zu evaluieren wäre. Dann sind die kantonalen Gesundheitsbehörden an der Reihe. Denn damit die Grundversicherung die Kosten für die Früherkennung übernimmt, müssen alle Kantone ein eigenes Screening-Programm aufbauen. Felix Straumann ist stellvertretender Gruppenleiter Wissenschaft/Medizin und Wissenschaftsjournalist. Er ist Diplom-Mikrobiologe und hat viele Jahre in Laboren der Universitätsklinik und in der Privatwirtschaft gearbeitet, bevor er Journalist wurde. Mehr [email protected] Einen Fehler gefunden? Jetzt melden. 0 Kommentare