Wie das Parlament am Donnerstag beschloss, verzichtet der Staat in den nächsten zwei Jahren auf rund 50 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Die Änderungen können erst nach Genehmigung durch den Bundesrat in Kraft treten. Viel Lob für das Gesetz gab es im Bundestag auch von der Oppositionsunion, die zustimmte. Das sei selbstverständlich, sagte Fraktionschef Matthias Middelberg. “Wir geben ihnen (Bürgern) zurück, was Inflation, Preisentwicklung ihnen sonst nehmen würden.” Gleichzeitig kritisierte Middelberg, dass die Auswirkungen der hohen Inflation in diesem Jahr nicht kompensiert würden. Die AfD kritisierte, dass die Ampel das Gesetz nicht lockere, sondern nur die Kaufkraft der Bürger erhalte. Die Linke kritisiert, dass Spitzenverdiener in absoluten Zahlen stärker von der Anpassung profitieren als Geringverdiener – das sei in der aktuellen Krise nicht angemessen.
Kalte Entwicklung – automatische Steuererhöhung
Mit dem Gesetz will die Ampelregierung verhindern, dass der Staat von den heutigen hohen Einkommensteuersätzen profitiert. Cold Rollover, eine Art heimlicher Steuererhöhung durch Inflation, wird gemildert. Das passiert bei hoher Inflation, wie heute beim russischen Krieg in der Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise in Deutschland. Prognosen gehen davon aus, dass die Inflation im nächsten Jahr sieben Prozent übersteigen könnte. Lesen Sie auch Hohe Inflationsraten mindern die Kaufkraft der Verbraucher, weil sie für einen Euro weniger kaufen können. Steigt das Gehalt weniger als die Inflation, müssen Sie hohe Steuern zahlen, können sich aber weniger leisten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) argumentierte kürzlich: Wenn ein Einkommen von 43.000 Euro inflationsbedingt im nächsten Jahr tatsächlich nur noch eine Kaufkraft von 39.000 Euro hat, sollte der Staat nicht so viel Steuer erheben, als wäre es noch eine Kaufkraft von 43.000 Euro .
Steuersatzanpassungen: Grundvergütung und Benchmarks
Um dies zu kompensieren, dreht die Regierung am Einkommensteuersatz. Der Grundfreibetrag, also das Einkommen, bis zu dem keine Steuern gezahlt werden müssen, steigt im nächsten Jahr um 561 Euro auf 10.908 Euro. 2024 soll er auf 11.604 Euro steigen. Zudem gilt der Spitzensteuersatz von 42 % im nächsten Jahr nur noch für ein zu versteuerndes Einkommen von 62.827 Euro. Geschuldet sind aktuell gerade einmal 58.597 Euro. 2024 wird diese Benchmark auf 66.779 € steigen. Lesen Sie auch Die Schwelle für den noch höheren Steuersatz für Vermögende von 45 Prozent greift die Bundesregierung bewusst nicht an, weil sie in dieser Einkommensklasse keinen zusätzlichen Entlastungsbedarf sieht.
Wohngeldreform und CO₂-Kostenbeteiligung
Der Bundestag hat zudem eine Wohngeldreform verabschiedet, die einkommensschwache Haushalte entlasten soll. Mit den Stimmen der Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat das Parlament zudem beschlossen, dass sich Vermieter ab 2023 an der CO2-Steuer für Wohngebäude beteiligen müssen. Durch die Reform soll die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte auf zwei Millionen mehr als verdreifacht werden. Zudem soll die Höhe des Wohngeldes von durchschnittlich rund 180 Euro monatlich auf rund 370 Euro monatlich steigen. Die Spitzenverbände der Städte und Gemeinden haben angekündigt, dass die Umsetzung und Bearbeitung der zu erwartenden Flut von Bewerbungen mehrere Monate in Anspruch nehmen wird. Die Mehrausgaben für die Wohngeldänderung werden auf rund 3,6 Milliarden Euro geschätzt.
Auch das Kindergeld wird erhöht
Familien können mit weiteren Entlastungen rechnen: Der Kinderfreibetrag steigt auf 250 Euro pro Monat und Kind. Das bedeutet für das erste und zweite Kind plus 31 Euro und für das dritte Kind plus 25 Euro pro Monat.
Was bedeutet das für den einzelnen Steuerzahler?
Das Finanzministerium hat mehrere Beispielrechnungen angestellt: Demnach muss ein Alleinstehender mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2400 Euro im nächsten Jahr 197 Euro weniger Steuern zahlen. Eine Familie mit zwei Kindern und einem gemeinsamen Bruttogehalt von 4667 Euro im Monat hätte 818 Euro mehr in der Tasche. Ein Alleinstehender mit einem monatlichen Bruttogehalt von 13.000 Euro müsste 674 Euro weniger Steuern zahlen. Lesen Sie auch In absoluten Zahlen werden Spitzenverdiener stärker entlastet als Geringverdiener – aber auch die Auswirkungen der hohen Inflation sind für sie stärker. Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) warf Lindner vor, Spitzenverdiener zu sehr zu bevorzugen. Der Grundfreibetrag sollte vollständig angepasst werden, was aber selbst beim höchsten Steuersatz weder notwendig noch leistbar ist.
Kosten für den Staat
Durch den Wertewandel erhalten Bund, Länder und Kommunen im nächsten Jahr 18,6 Milliarden Euro weniger Steuern. 2024 werden es sogar 31,8 Milliarden sein. Das ist viel mehr als in einem frühen Entwurf prognostiziert – aber Lindner rechnete hier mit einer noch geringeren Inflation. Allerdings profitiert der Bund weiterhin von der hohen Inflation – zum Beispiel, weil er deutlich mehr Mehrwertsteuer einnimmt. Hier können Sie sich unsere WELT-Podcasts anhören Zur Anzeige der eingebetteten Inhalte ist Ihre widerrufliche Einwilligung zur Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung benötigen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem Sie den Schalter auf „on“ stellen, erklären Sie sich damit einverstanden (jederzeit widerrufbar). Dies umfasst auch Ihre Zustimmung zur Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten an Drittländer, einschließlich der USA, gemäß Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe a DSGVO. Hier finden Sie weitere Informationen dazu. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit über den Schalter und über den Datenschutz unten auf der Seite widerrufen.