Gegen den gesamten Gemeinderat in Walenstadt SG wurde ein Strafverfahren eröffnet. Eines der Hindernisse ist diese Wand. Tobias Ochsenbein (Text) und Philippe Rossier (Fotos) Im Oktober dieses Jahres hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen ein Disziplinarverfahren gegen die Mitglieder des Gemeinderates Walenstadt SG eingeleitet. Aber das ist nicht die einzige dunkle Wolke, die über der Agentur hängt. Was niemand weiss: Bereits am 2. Februar 2022 hatte die Anklage des Kantons St. Gallen die Staatsanwaltschaft ermächtigt, gegen alle Mitglieder des Walenstädter Gemeinderates ein Strafverfahren einzuleiten! Auch gegen den Bürgermeister und den Sekretär des Stadtrates. Die Staatsanwaltschaft soll wegen Machtmissbrauchs, Urkundenfälschung und Unterdrückung von Urkunden ermitteln, da der Entscheid zeigt, dass der Blick ausschliesslich zur Verfügung steht. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Im Kanton St. Gallen bedarf die strafrechtliche Ermittlung gegen Behördenangehörige einer Bewilligung aus der Anklageschrift. Das heisst insbesondere, wenn jemand einen kantonalen Beamten – etwa einen Polizisten oder einen Steuerbeamten – anzeigt, geht der Fall zuerst an die Anklage, die dann über das weitere Vorgehen entscheidet. In 80 bis 85 Prozent der Fälle lasse dies aber nach Angaben des Präsidenten keine strafrechtlichen Ermittlungen zu.

Corpus delicti ist eine Stützmauer

Zankapfel in Walenstadt ist das Verhalten des Stadtrates gegenüber dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und vor Bundesgericht. Es handelt sich um eine illegal errichtete Stützmauer, die seit Jahren umstritten ist. Weil die Mauer zu hoch ist und das Eigentum der Familie Ghaemmaghami beeinträchtigt. „Die mehrere Meter hohe Stützmauer wurde 1998 errichtet – im Grenzbereich des Grundstücks, das wir besitzen“, sagt Payám Ghaemmaghami (42). Bei einer Bauabnahme stellte die Gemeinde Walenstadt dann fest, dass die Mauer von den genehmigten Plänen abwich. Aber nichts ist passiert. Bis heute, 24 Jahre später. Und das, obwohl das Baudepartement, das kantonale Verwaltungsgericht und das Bundesgericht zwischen 2010 und 2021 in mehreren Entscheiden das Gesetz zugunsten der Ghaemmaghamis ausgelegt haben! Das Urteil war immer gleich: Die Höhenabweichung von bis zu 1,70 Metern, die fehlende Neupositionierung des oberen Steinsatzes, der unerlaubte ein Meter hohe Zaun an der Mauer und die Verletzung der Grenze von bis zu 40 Zentimetern sind nicht einzuordnen als unbedeutend oder trivial. Die Gemeinde Walenstadt wurde deshalb von allen Justizbehörden angewiesen, die Wiederherstellung der Stützmauer in ihren rechtlichen Zustand anzuordnen. Jedes Mal aber sagte die Gemeinde wieder: Die Mauer kann so bleiben, wie sie ist. Oder – endlich – es muss nur leicht korrigiert werden.

„Die Gemeinde beharrt auf dem rechtswidrigen Beschluss“

2016 wandte sich die Familie Ghaemmaghami erstmals an die Strafverfolgung – gegen den damaligen Stadtrat. Schon damals ermächtigte die Anklageschrift des Kantons St. Gallen die Staatsanwaltschaft, ein Strafverfahren einzuleiten. Nur vier Jahre später, im Februar 2020, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen drei der beteiligten Stadträte vor dem Bezirksgericht Werdenberg-Sarganserland wegen Amtsmissbrauchs. Darunter ist auch ein aktueller SVP-Kantonsrat. Die Staatsanwaltschaft hat auch gegen den ehemaligen Bürgermeister Anklage wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses erhoben. Heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, ist der Fall immer noch anhängig. Nun läuft also bereits der zweite Prozess – gegen den aktuellen Stadtrat. Für die Familie Ghaemmaghami ist das Verhalten der Gemeinde unverständlich: „Eigentlich ist es eine ganz einfache Sache. Die Gerichte haben klar gesagt, was sich ändern muss. Sie haben sogar eine Korrekturanleitung veröffentlicht. Nur die Gemeinde Walenstadt hält an dem rechtswidrigen Entscheid fest», sagt Páyá Ghaemmaghami (33). In diesem Fall scheint jedoch mehr auf dem Spiel zu stehen als Eigentumsschutz, Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtsstaatlichkeit. Es gibt auch Fragen zur Befangenheit der Behörden. Denn wie sich herausstellt: Die Tochter des jetzigen Bürgermeisters zum Beispiel ist bei der regionalen Baufirma des Mauerbesitzers angestellt. Und der Mauerbesitzer arbeitet als Sonderrichter für die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen in der Kinder- und Erwachsenenschutzabteilung inkl. Sozialwohnungen.

Die Gemeinde will eine Ersatzbehörde einsetzen

Anstatt die Mauereigentümer zur Befestigung der Mauer zu verpflichten, reichte der Walenstädter Gemeinderat am 4. April 2020 ein Gesuch beim Innendepartement des Kantons St. Gallen, eine Stellvertreterin für die Anordnung der Mauerinstandsetzung zu ernennen. Der Grund: Die Stadtverwaltung sieht sich nicht in der Lage, das Geschäft sachlich, unabhängig und unparteiisch zu behandeln. „Das zeigt, dass es in Walenstadt an einer effektiven Aufsicht mangelt. Und wo es Machtmissbrauch gibt, egal wie oft man vor Gericht gewinnt, ändert sich nichts. Walenstadt hat ein riesiges Verfassungsproblem”, sagt Payám Ghaemmaghami. Zudem gehen die beharrlichen Bemühungen der Stadtverwaltung, die Mauer in ihrem illegalen Zustand zu erhalten, zu Lasten der Steuerzahler. “Es besteht kein Zweifel, dass das Geld der Steuerzahler nicht so verwendet wird, wie es der Stadtrat beabsichtigt”, sagt die Familie Ghaemmaghami, die eine eigene Anwaltskanzlei hat. Das stellt die hohe Besoldung der Stadträte in Frage. Denn gerade wird in der Gemeinde über die Gehälter der Behörden diskutiert. Am 8. April 2022 hat das Rathaus Walenstadt den Stadtrat und die Revisionskommission beauftragt: die Gehälter der Behördenmitglieder zu überprüfen. Kritik aus der Bevölkerung: Ihre Gehälter seien zu hoch. Bürgermeister und Stadtrat begründeten dies mit „hoher Motivation“ – wohl wissend, dass gegen sie bereits strafrechtliche Ermittlungen geführt würden. Hinweis: Der Gemeindepräsident von Walenstadt erhält für 2021 rund 236’000 Franken inklusive Spesen, etwa das Gehalt des Gemeindepräsidenten von Luzern bei einer sechzehnfachen Einwohnerzahl von Walenstadt. Blick konfrontierte den Walenstädter Stadtrat mit allen Vorwürfen. Er wollte sich dazu nicht äußern und verweist auf das Amtsgeheimnis.