Dennoch ist der Handel mit russischem Gold durch die Schweiz seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine praktisch zum Erliegen gekommen. Das liegt zum einen daran, dass die London Bullion Market Association (LBMA) sechs ihrer Mitglieder, allesamt Gold- und Silberraffinerien aus Russland, nach Kriegsausbruch suspendiert hat. Andererseits wurden russische Banken vom internationalen Swift-Zahlungssystem ausgeschlossen. Betroffen waren auch Finanzinstitute, die zuvor internationale Goldtransaktionen abgewickelt hatten. Außerdem steht die russische Zentralbank – ein wichtiger Akteur im russischen Goldhandel – auf der Sanktionsliste. Und nicht zuletzt gehen die Schweizer Goldscheideanstalten über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus und stellen vorsorglich den Import von russischem Gold ein: Die Gefahr eines Imageschadens ist sehr hoch.
Die Schweiz als Goldhändler Nummer 1
Nun scheint sich das Blatt zu wenden: Im Mai importierte die Schweiz erstmals seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine wieder russisches Gold. Konkret waren es 3,1 Tonnen im Wert von knapp 200 Millionen Franken. Dies gilt nach Angaben des Bundesamtes für Zoll und Grenzschutz (BAZG) für Mai. Dies wurde zuerst vom Bloomberg Business Portal gemeldet. Zum Vergleich: Schon vor Kriegsausbruch im Januar 2022 importierte die Schweiz vier Tonnen russisches Gold. Obwohl dieser Preis im Mai nicht erreicht wurde, scheint die Branche auf dem Weg zu alter Größe zu sein. Auch wenn der russische Goldhandel nicht sanktioniert ist, kommen erneute Importe einem Tabubruch gleich. Dass Bloomberg, Reuters und andere internationale Medien darüber berichten, ist ein Beweis dafür. Internationale Aufmerksamkeit kommt nicht von ungefähr: Die Schweiz gilt als wichtigste internationale Rohstoffdrehscheibe. Es wird geschätzt, dass 80 Prozent des weltweiten Goldhandels in den Büros und Computerbildschirmen lokaler Händler stattfindet. Russland ist der zweitgrößte Goldproduzent der Welt. Gold war bis zum Ausbruch des Konflikts für die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Russland von zentraler Bedeutung: Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) machten Edelmetalle bis zum Ausbruch des Krieges 80% der russischen Importe in die Schweiz aus.
Importe sind selbst Experten ein Rätsel
Anders als beispielsweise beim Öl passiert ein Grossteil des in der Schweiz gehandelten Goldes naturgemäss die Schweizer Grenze: Die Schweiz ist nicht nur gross im Goldhandel, sondern auch in der Goldverarbeitung. Vier der grössten Goldraffinerien der Welt befinden sich in der Schweiz, drei davon im Tessin. Schätzungen zufolge werden zwei Drittel des weltweit geförderten Goldes in Schweizer Fabriken geschmolzen und verarbeitet: zu Goldbarren, Schmuck, Uhren oder Ersatzteilen für die Industrie. Die Schweizer Goldscheideanstalten lassen also wenige Monate nach Kriegsausbruch die Grundsätze fallen und machen weiter wie bisher? nein Dies wird nicht nur von der Industrie selbst unterstützt. Aber auch Marc Ummel (29), Rohstoffspezialist bei der NGO Swissaid, die den Goldhandel in der Schweiz mit Argusaugen beobachtet. „Ich kann mir die Neuimporte wirklich nicht erklären“, sagt Ummel etwas verletzend. Aktuelle Importe sind bereits raffiniertes Gold, nicht Rohgold direkt aus der Mine. Wurde es von einem kleinen Unternehmen eingeführt, das nicht auf dem Radar von Goldexperten steht? “Möglich”, sagt Ummel. “Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, wir reden schließlich über drei Tonnen!” Ummel hat Seco und BAZG um weitere Informationen zu Importen gebeten – bisher ohne Erfolg. Auf Anfrage von Blick teilten die Behörden mit, dass das russische Gold über Grossbritannien in die Schweiz gelangt sei. Aus datenschutzrechtlichen Gründen soll nicht offengelegt werden, wer sie eingeführt hat. Sowohl Seco als auch BAZG betonen, dass Goldimporte aus Russland nicht sanktioniert werden.
Goldwäsche durch Dubai
Allerdings ist fraglich, wie aussagekräftig Importstatistiken überhaupt sind. Importeure müssen lediglich angeben, wo sie ihr Gold kaufen. Dabei spielt es keine Rolle, wo es ursprünglich abgebaut wurde. „Eine große Gesetzeslücke“, sagt Ummel. In diesem Frühjahr, nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine, sind die Goldimporte aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sprunghaft angestiegen – obwohl es dort keine einzige Goldmine gibt. Der Fall Swissaid: Russisches Gold geht nach Dubai und von dort in die Welt. Swissaid nennt das «Golden Panning». Vier der fünf Schweizer Raffinerien importieren kein Gold aus den VAE. Ausgerechnet Branchenführer Valcambi scheint sich wenig für die mögliche Herkunft des Dubai-Goldes zu interessieren. Die Tessiner Raffinerie mit Sitz in Balerna unweit von Chiasso importiert laut Swissaid Gold aus Dubai und hält sich nach eigenen Angaben an “geltende Richtlinien und Sanktionen”. Entweder als Direktimport oder als Zwischenstopp in Dubai: Russlands Präsident Wladimir Putin (69) dürfte sich über den weiteren Goldexport freuen – er zahlt in die Kriegskasse. Mehr über die Schweizer Rohstoffdrehscheibe