Die bisher stärkste Oppositionskraft im Parlament und die traditionell konservative Republikanische Alliierte Volkspartei gewannen nur 74 Sitze, ein herber Verlust. Die Wahlbeteiligung erreichte einen Tiefststand von 46,23 %. In einer ersten Reaktion auf die Vorhersagen bekräftigte Melanson seinen Anspruch auf Regierungsverantwortung. “Alle Optionen liegen in Ihrer Hand”, rief er vor jubelnden Anhängern in Paris. „Dies ist eine vollständige Zerstörung der Präsidentenpartei“, sagte er. Melanson sprach auch von der „Wahlniederlage des Makronismus“. Macrons Premierministerin Elizabeth Bourne will versuchen, eine mögliche Koalition zu finden. „Als zentrale Kraft in der Nationalversammlung müssen wir eine besondere Verantwortung übernehmen. Ab morgen werden wir daran arbeiten, eine handlungsfähige Mehrheit aufzubauen“, sagte Borowski am Sonntagabend in Paris. “Wir haben alles, was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, und wir werden es gemeinsam schaffen.” Bourne steht den Sozialisten seit langem nahe und schloss sich 2017 der kürzlich vom Liberalen Macron gegründeten Partei an, die ursprünglich La République en Marche hieß. Erstmals seit über 30 Jahren verfügt der französische Präsident nicht über eine absolute parlamentarische Mehrheit und ist mit seiner Regierung auf die Unterstützung anderer Lager angewiesen. Koalitionsregierung im eigenen politischen Lager und mit Kompromissen ist in Frankreich weniger verbreitet als in anderen europäischen Ländern. Für eine mögliche Koalition oder Kooperation muss die Präsidentenpartei nun auf potenzielle Partner im Parlament zugehen. „Wir haben heute Abend eine neue Situation“, sagte Bourne. Diese Situation bedroht das Land angesichts nationaler und internationaler Herausforderungen. Aber Sie müssen das Ergebnis respektieren und verantwortungsvoll handeln. “Die Franzosen rufen uns auf, uns im Interesse des Landes zu vereinen.” Gleichzeitig nannte der Ministerpräsident die Prioritäten der künftigen Regierung. Ab Sommer soll es starke und konkrete Maßnahmen geben, um die Kaufkraft der Franzosen zu stärken. Das Streben nach Vollzeitbeschäftigung und ökologischer Wandel stehen an erster Stelle, die Schule und das Gesundheitssystem müssen verbessert werden. Weitere Prioritäten sind Frankreichs Dominanz im Energie- und Lebensmittelsektor. „Ich habe Vertrauen in unser Land“, sagte der Ministerpräsident. Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für Macron, dessen Lager immer noch über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt. Normalerweise gelten kurz nach der Präsidentschaftswahl abgehaltene Parlamentswahlen als Bestätigung, so dass oft dieselbe politische Kraft mit absoluter Mehrheit gewinnt. Das neue Linksbündnis hingegen war ein Riesenerfolg und gewann als stärkste Oppositionsgruppe an Einfluss. Der Rassemblement National werde “die größte Fraktion in der Geschichte (ihrer) politischen Familie” in der Nationalversammlung bilden, sagte Le Pen gegenüber Hénin-Beaumont angesichts des spektakulären Wachstums. Parteichef Jordan Bardella sprach von einem “Tsunami” für die Partei. „Das französische Volk hat Emmanuel Macron zum Präsidenten der Minderheit gemacht“, sagte er gegenüber TF1. Der RN muss erstmals ein eigenes Team bilden, dh mehr Geld und mehr Gesprächszeit bekommen. Der Vorgängerpartei des Front National gelang dies zuletzt mit der Änderung des Wahlgesetzes im Jahr 1986. Die langjährige Parteichefin Marin Lepen dürfte nun Fraktionsvorsitzende werden. Die Macron-Administration könnte sich bei ihrer Suche nach Unterstützung im Parlament nun stärker an die konservativen Republikaner wenden. Ihr Parteivorsitzender Christian Jacob hat dies bereits dementiert. „Wir sind in der Opposition und wir bleiben in der Opposition“, sagte er. Bei den Parlamentswahlen überlegte Macron, ob er seine Pläne in seiner zweiten Amtszeit durchsetzen könne. Deshalb brauchen wir eine Mehrheit im Parlament. Mit nur noch relativer Mehrheit sind Präsident und Regierung gezwungen, sich Unterstützung aus anderen Lagern zu suchen. Zuletzt gab es eine solche Regierung unter François Mitterrand (1988-1991). Auch wenn viele Franzosen mit Macrons erster Amtszeit unzufrieden waren, profitierte der 44-Jährige wohl davon, dass die Parlamentswahlen in Frankreich als Bestätigung der Präsidentschaftswahl gelten. Traditionell nehmen Anhänger des Siegers an der Abstimmung teil, andere bleiben oft zu Hause. Kehrseite des Linksbündnisses war das komplizierte Wahlsystem, das mitunter zu gravierenden Differenzen zwischen Stimmenanteil und Sitzverteilung führte. Am Ende zählen nur die Stimmen des Siegers im jeweiligen Wahlkreis. Trotz der relativen Mehrheit für das Macron-Lager wird Europa letztlich weiterhin auf Frankreich als verlässlichen Partner zählen können. Im Ukraine-Konflikt wird Frankreich zweifellos ein fester Bestandteil der westlichen Einheitsfront gegen das aggressive Russland bleiben. In Frankreich warten große Projekte auf ihre Umsetzung: Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem sind nötig, die Menschen erwarten Kaufkraftschub in der Krise und viele wünschen sich mehr proaktives Handeln in der Klimakrise. Zudem will Macron eine umstrittene Rentenreform vorantreiben, die Franzosen sollen sich mehr anstrengen. Die Wahl war auch ein Fernduell zweier sehr unterschiedlicher Politiker. Auf der einen Seite der 44-jährige eloquente Präsident und ehemalige Investmentbanker Macron. Auf internationaler Bühne tritt er als dominanter Anführer auf, auf nationaler Ebene kämpft er mit dem Image einer arroganten politischen Elite. Ihm gegenüber stand der linke Veteran Melanson, ein gewiefter linker Ideologe und General, der sich als Verteidiger des Volkes und der sozialen Gerechtigkeit versteht.