Schon vor dem Start der documenta gab es Antisemitismus-Vorwürfe, jetzt stößt ein Transparent einer Sammlung indonesischer Künstler auf scharfe Kritik. Kultusminister Roth spricht von antisemitischen Bildern und fordert Konsequenzen.
Kurz nach der Eröffnung der documenta 15 heizten neue Vorwürfe die seit Monaten schwelende antisemitische Debatte um die Ausstellung an. Insbesondere ist es ein Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Auf ihrem großflächigen Banner am Friedrichsplatz in Kassel erscheint unter anderem ein Soldat mit Schweinegesicht. Er trägt einen Schal mit Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift “Mossad”. Das ist der Name des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Auf demselben Bild hat ein Mann mit Kipa, Hut und seitlichen Locken blutunterlaufene Augen, spitze Zähne und eine schiefe Nase.
„Das sind aus meiner Sicht antisemitische Bilder“, sagte Roth. Bild: dpa
Kultusministerin Claudia Roth kritisierte die „antisemitischen Bilder“. „Die Würde des Menschen, der Schutz vor Antisemitismus sowie Rassismus und jeder Form von Menschenverachtung sind die Grundlage unseres Zusammenlebens und hier findet die künstlerische Freiheit ihre Grenzen“, erklärte er. Die documenta müsse “den Kuratoren und Künstlern unverzüglich klarmachen und die notwendigen Konsequenzen ziehen”, forderte Roth.
Wut über ein Bild mit antisemitischen Bezügen auf der documenta in Kassel
Gerrit Rudolph, HR, Daily News um 20:00 Uhr, 20. Juni 2022
Kritik aus der israelischen Botschaft
Auch die israelische Botschaft in Berlin fand deutliche Worte: “Wir sind empört über die öffentlich auftretenden antisemitischen Elemente bei der documenta 15, die derzeit in Kassel stattfindet”, teilte die Botschaft mit. “Die in einigen Exponaten präsentierten Beweise erinnern an die Propaganda von Goebbels und seinen Anhängern in den dunklen Zeiten der deutschen Geschichte.” Alle roten Linien wurden nicht nur überschritten, sondern abgerissen. “Diese Elemente müssen sofort aus dem Bericht entfernt werden.”
Das American Jewish Committee in Berlin hat sogar die Entlassung der documenta-Geschäftsführerin gefordert: Sabine Schormann solle sofort gefeuert, „offensichtlicher Antisemitismus sofort gestoppt und die damit verbundenen Projekte eingestellt werden“, erklärte Direktor Remko Leemhuis.
“Klare antisemitische Unruhen”
Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank forderte die Veranstalter der Weltkunstausstellung in Kassel zudem auf, den Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs zu entfernen. „Das ist eine klare antisemitische Mobilisierung und Verletzung“, sagte Meron Mendel. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Joseph Schuster, sagte, die künstlerische Freiheit würde dort enden, wo die Unmenschlichkeit begann. “Diese rote Linie wurde auf der documenta überschritten.” Die Verantwortlichen müssen nun ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und die Konsequenzen ernten.
Auch der Zentrale Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker forderte die Einstellung des Projekts. „Antisemitismus bleibt Antisemitismus, ob gesprochen, gemalt oder gesungen. Die vom Künstlerkollektiv gewählten Muster lassen keinen Interpretationsspielraum, sondern haben einen eindeutig antisemitischen Charakter“, sagte Becker.
Die hessische Kunstministerin Angela Dorn, die auch Vizepräsidentin des documenta-Aufsichtsrats ist, sprach von antisemitischen Bildern. Er kontaktierte umgehend den Geschäftsführer der documenta, Schormann, um die Angelegenheit schnellstmöglich zu klären. Völlig unverständlich sei es, erklärte der Direktor des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, wie die documenta-Funktionäre trotz vorheriger Diskussionen die Ausstellung dieser antisemitischen Werke zulassen könnten.
Beschwerden seit Tagen
Angesichts der am Samstag eröffneten Ausstellung war ihre Organisation vor allem wegen ihres Umgangs mit Israel umstritten gewesen. Besonders kritisiert wurde das mit der künstlerischen Leitung betraute indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa. Rouangrupa wird Beteiligung an Organisationen vorgeworfen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen oder einen Boykott des Landes unterstützen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am Samstag in seiner Antrittsrede, er habe lange gezweifelt, ob er die Rede überhaupt halten solle. “Weil manche Kritik an der israelischen Politik, etwa am Siedlungsbau, berechtigt ist”, sei die Anerkennung des israelischen Staates “für uns Grundlage und Bedingung der Debatte”.
Als „besorgniserregend“ bezeichnete Steinmeier es auch, wenn „sich immer mehr Vertreter des globalen Südens weigern, an Veranstaltungen, Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis beteiligt sind“. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass “wahrscheinlich keine jüdischen Künstler aus Israel in dieser wichtigen Ausstellung zeitgenössischer Kunst vertreten sind”.
Ruangrupa und die documenta wiesen die Vorwürfe kategorisch zurück. Eine Reihe von Diskussionen zur Beruhigung der Welt wurde abgesagt.