Den Streit zwischen Opposition und Regierung verfolgte am Sonntagabend Ann Will in der ARD-Sendung. Als Vertreter trafen dort der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann und der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert aufeinander. Kühnert warf dem CDU-Mann vor, „ein sehr schlechtes Bild von dem Mann“ zu haben. Unterstützung erhielt er dabei von Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping. Eingeladen waren auch der Leiter des ifo Instituts, Clemens Fuest, und die Sozialarbeiterin Nele Tonessen, die sich um Kinder aus sozial schwachen Familien kümmert.

“Das hat nichts mehr mit dem Sozialstaatsprinzip zu tun”

Linnemann ging sofort auf volle Konfrontation: “Das Problem ist, dass die SPD die Reform der Agenda 2010 rückgängig machen will.” Wer nicht arbeiten kann, braucht Unterstützung. Wenn Sie nicht arbeiten wollen, sollten Sie sich Jobs suchen oder Ihre Ausbildung fortsetzen. “Aber dass Sie jetzt sagen, dass es in der ersten Halbzeit keine Sanktionen wegen Pflichtverletzungen geben wird, keine Gelbe Karte, keine Rote Karte, das hat mit dem Sozialstaatsprinzip nichts zu tun.” Linnemann bezog sich auf die geplante Regelung, dass Kürzungen in der ersten Hälfte des Bezugsjahres nur in absoluten Ausnahmefällen vorgenommen werden können, auch wenn die Leistungsempfänger nicht mit den Behörden kooperieren. Die Laternenkoalition bezeichnet dies als „Vertrauenszeit“. Lesen Sie auch Kühnert erklärte, dass bei Hartz IV nur 3 % aller Empfänger sanktioniert worden seien. Er warf dem CDU-Mann vor: „Sie sind bereit, in Kauf zu nehmen, dass die anderen 97 von 100 Arbeitslosen in Deutschland als lustlose Idioten dargestellt werden.“ Linnemann entgegnete: „Wenn es drei Prozent Geschwindigkeiten gibt, sind die in den 70ern – Wenn Sie in 130er Zonen fahren, dann sagen Sie nicht: 97 Prozent halten sich an die Regeln, jetzt brauchen wir die drei Prozent nicht zu bestrafen. Es ist wie ein Fußballspiel ohne gelbe und rote Karten.” Lesen Sie auch Thönnessen sah das ähnlich – auch wenn die Sozialarbeiterin am Sanktionskonzept irritiert war. „Bei der Arbeit mit jungen Müttern und jungen Vätern finde ich, dass hinter dem, was wir tun müssen, natürlich ein wenig Druck stehen muss“, sagte sie. Familien, die lange Transferzahlungen erhalten, „schweben“ oft. Dann brauchen wir eine Motivation, um wieder aus dieser Situation herauszukommen. „Sanktionen lassen Menschen schneller arbeiten, sie arbeiten“, sagte ifo-Chef Fuest. Die Arbeit, die diese Menschen dann leisten, ist jedoch oft nicht nachhaltig. „Werden wir die Leute wirklich zwingen, den erstbesten Job zu machen, der ankommt? Da wäre ich auch skeptisch“, sagte Fuest.

Kühnert sieht keinen Grund, nicht zur Arbeit zu gehen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat kürzlich berechnet, wie viel Geld eine vierköpfige Familie, in der ein Elternteil Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, zur Verfügung hat. Diesen Betrag verglich der DGB mit dem Grundeinkommen, mit dem eine solche Familie nach der Reform rechnen konnte. Das Ergebnis: Wenn Sie arbeiten, hat Ihre Familie monatlich 544 Euro mehr zur Verfügung, als wenn Sie ein Bürgereinkommen bezogen. Kühnert schloss daraus, dass das Bürgereinkommen kein Anreiz sei, nicht mehr zu arbeiten. „Es gibt in Deutschland keine Situation, in der Menschen, die arbeiten gehen – wenn sie ihre Rechte durchsetzen – am Ende mit weniger auskommen als jemand, der Bürgergeld bezieht“, sagte der SPD-Politiker. Allerdings übersah sie ein zentrales Problem: Die Berechnung funktioniert nur, wenn die Familie mit dem berufstätigen Elternteil auch Kindergeld und Wohngeld bezieht. Sonst hätten sie laut DGB sogar 273 Euro weniger zur Verfügung als eine Familie, die Bürgergeld bezieht. Lesen Sie auch „Dann müssen die Bewerber ins Amt“, schimpfte Linnemann, „viele gehen gar nicht erst hin – aus Scham, aus Unwissenheit, warum auch immer.“ Anders als beim Bürgereinkommen gibt es auch eine Vermögensprüfung. Niemand im Team konnte die Befürchtung wirklich zerstreuen, dass Zivilverdiener mehr auf dem Konto haben könnten als Mindestlohnarbeiter. Auch die Jobcenter scheinen sich des Problems bewusst zu sein. Thönnessen berichtete über den Vater eines von ihr betreuten Kindes. Er macht eine Ausbildung und hat Unterstützung beim Ordnungsamt beantragt. Die Antwort des Jobcenter-Mitarbeiters: „Wenn wir ganz ehrlich sind: Es lohnt sich nicht, das hier zu machen. Es wäre einfacher, wenn sie ab dem nächsten Jahr die vollen Transferzahlungen erhalten würden.”